...Interview in der MOZ....einfach mal lesen...
Currywurst statt Borschtsch
Volleyballer Björn Andrae verließ die Heimat mit 22, jetzt ist er zurückgekehrt und schlägt für die Netzhoppers auf / Heimspiel am Sonntag
Bestensee
(MOZ)
Steht ein Millionär im Berliner Baumarkt und schaut sich Dachziegeln
an. Rote und graue, glasierte und nicht glasierte. Das ist nicht der
Anfang eines Witzes. Das passiert dieser Tage immer mal wieder. Dass der
Mann in Russland und Italien keinen Schritt vor die Tür machen konnte,
ohne um Autogramme angefleht zu werden, interessiert hier keinen. Hier,
in Berlin, in Deutschland, in diesem Fußball-Land, ist er nur ein
überdurchschnittlich großer Mann, der auf Ziegeln starrt.
Der
Mann heißt Björn Andrae. Er ragt zwei Meter gen Himmel und ist
Volleyballer. Andrae ist Ex-Nationalspieler, einer der besten, den
Deutschland in den vergangenen Jahren ans Parkett binden konnte. Ob er
Millionär ist, ist eine Vermutung. Aber keine weit hergeholte. In den
Top-Ligen Europas, in Italien, Russland und Polen, verdienen die
Volleyballer Gehälter, die zehnmal so hoch sind wie hierzulande. Laut
Liga dort 300 000 Euro und mehr statt hier 30 000 pro Jahr netto. Andrae
hat in Europas stärksten Vereinen die Schuhe geschnürt – und ist
zurückgekommen in die Heimat.
In Königs
Wusterhausen möchte er seine Karriere beenden. Zwei bis drei Jahre will
der 35-Jährige die Mannschaft von Trainer Mirko Culic, der aus
Studenten, Schülern und Auszubildenden ein Team formt, anführen. Dann
reichts. Vom Profi zum Semiprofi mit Freizeit – eine krasse Umstellung,
sagt er.
Wobei Freizeit bei ihm Arbeit
bedeutet. Seine Fitness-Übungen aus Profi-Zeiten macht der gebürtige
Berliner, der im Osten der Stadt aufgewachsen ist, trotzdem. „Ich will
keine schlechte Figur auf dem Platz abgeben. Sonst schäme ich mich. Eher
höre ich auf, als mich mit schlechter Leistung zu blamieren“, erklärt
Andrae. Leistungssportler bleibt Leistungssportler.
Während
der Mann mit dem grauen Krausehaar und dem braun gebrannten Gesicht die
letzten Steine auf sein Haus namens Karriere legt, zimmert er schon an
einem neuen. Er gestaltet auf seinem Grundstück in Kaulsdorf einen
Bungalow neu. Seine „Sommerresidenz“, wie er sie nennt. Später will er
noch ein Familien-Haus auf dem 1000-Quadratmeter-Grundstück bauen
lassen. Für sich und seine Freundin, die bei einer privaten Fluglinie
arbeitet. Mit Kamin, Weinkeller und einem Zimmer für seine Trophäen, die
derzeit bei der Mutter im Keller lagern.
Medaillen,
als er zweimal Deutscher Meister und dreimal zum Volleyballer des
Jahres gekürt wurde, füllen dann die Regale. Genauso wie Andenken an die
Olympischen Spiele 2008 in Peking und 2012 in London, als die deutsche
Nationalmannschaft Neunter und Fünfter wurde. „Dass wir es 2008 nach
Peking geschafft haben, war der größte Erfolg meiner Karriere. Er war
mehr wert, als eine Goldmedaille wert gewesen wäre.“Die Deutschen hatten
sich zum ersten Mal seit München 1972 wieder für die Sommerspiele Björn
Andrae wurde am 14. Mai 1981 in Berlin geboren. Seine Karriere begann
der Volleyballer mit zwölf Jahren beim SCC Berlin. Nachdem er mit der
Jugend-Nationalmannschaft 1999 das EM-Finale erreicht hatte, holte ihn
Ex-Bundestrainer Stelian Moculescu zum VfB Friedrichshafen. Mit dem Team
gewann er zweimal die Meisterschaft und dreimal den Pokal. Nach
Stationen in Russland, Polen und Italien spielt er seit dieser Saison
beim Bundesligisten Netzhoppers KW. qualifiziert. Das erste Mal seit 36
Jahren.
Es war der Beginn einer neuen Zeit
für den deutschen Volleyballsport, die in WM-Bronze 2014 gipfelte.
Baumeister des Erfolgs war Ex-Bundestrainer Stelian Moculescu, der
Andrae in der vorangegangenen Saison für ein Jahr zum Vizemeister VfB
Friedrichshafen lockte. Ein Visionär, der keine Konflikte scheut und
aneckt. Ebenso wie Andrae.
Als 18-Jähriger
posaunte der Berliner heraus: „Ich will mit dem Volleyballsport
Millionär werden.“Was er erntete, waren Kopfschüttler, mildes Lächeln
und Worte wie: „Der Junge soll erst einmal erwachsen werden, und dann
mal sehen.“Vier Jahre später lief Andrae in Italien auf. „Das war eine
Genugtuung“, sagt er und lacht. Und dann bringt er seinen Eindruck der
deutschen Mentalität auf den Satz: „Wir sind hier viel zu realistisch.“
Understatement
ersetzt der Außenangreifer mit Träumerei. Dass er das kann, hat einen
Grund. „Meine Familie ist mein Anker.“Der Vater, gelernter Schlosser,
brachte ihm das Sparen bei. Zu dritt lebte die Familie in einer
Einzimmerwohnung. Und dennoch: „Wenn es mit dem Sport nicht geklappt
hätte, hätten mich meine Eltern finanziell aufgefangen.“Wie eng das
Verhältnis zu Eltern und jüngerer Schwester ist, zeigen Sätze wie: „Du
kannst alles verlieren – außer die Familie.“Oder: „Wenn du niemanden vor
Ort hast, mit dem du die Schönheiten einer Stadt teilen kannst, ist es
nichts wert.“Und: „Je weiter ich weg war, umso wichtiger war es,
zurückzukommen.“
Zum Beispiel aus
Sibirien. Fünf Jahre schlug er für den russischen Erstligisten in
Kemerowo auf. „Als ich da zum ersten Mal ankam am Flughafen, dachte ich,
das ist doch hier eine größere S-Bahnstation“, erzählt Andrae. Er
stampfte durch den knietiefen Schnee – und war ängstlich. Was würde ihn
in dieser 500 000-Einwohner-Stadt, die mit dem Auto eine Fahrt von 64
Stunden von Berlin entfernt ist, erwarten? Wie er aufgenommen werden?
„Ich
habe die Menschen dort lieben gelernt.“Weil Fans ihn zum Abendessen zu
sich nach Hause einluden. Weil sie ihn mit Borschtsch, dieser
Rote-BeeteSuppe, und mit Pelmeni, den Teigtaschen mit
Kartoffel-KrautFüllung, fütterten. Weil sie ihn in der Halle feierten,
als ob er zu ihnen gehörte, als ob er ein Mitglied dieser russischen
Familie wäre. Und weil er die Anerkennung genoss. „Als ich in ein
Restaurant ging, wurden Tische für mich frei gemacht. Ich war ein VIP.“
Sein
jetziges Inkognito will er trotzdem nicht gegen den Status der Very
Important Person, der sehr wichtigen Person, tauschen. Er will die
Sportler bei den Netzhoppers anleiten. Als Kapitän dirigiert er bereits
im Punktspiel und zeigt im Training, wie sie am besten zum Schmetterball
anlaufen. Später möchte er vielleicht Jugendtrainer werden. „Oder ich
mache doch ein Café auf?“, sinniert er. „Ich weiß es noch nicht. Was ich
weiß, ist, dass ich angekommen bin.“
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